Festnachlese-Winternacht
Nun ist es wieder soweit! Die Blätter leuchten gelb und rot, es wird – auch begünstigt durch die Zeitumstellung vom Sonntag – wieder richtig früh dunkel und wenn man morgens aus dem Haus tritt, schlägt man unwillkürlich den Mantelkragen hoch oder geht gleich zurück, um sich eine wärmere Jacke zu holen.
Der Herbst ist auf seinem Höhepunkt und zeigt uns schon die Vorboten des kommenden Winters. Zeit für uns, das Winternachtfest zu begehen. Dies ist die Zeit der Totengöttin Hel, die Zeit, zu der die Grenzen zwischen den neun Welten durchlässiger werden, und die Zeit, seiner Ahnen zu gedenken. Es ist aber auch die Zeit der Geister und traditionell veranstalten wir auf dem Fest einen Maskenumzug. Einige Heiden hatten sich einige Tage zuvor zum Fertigen von Gipsmasken getroffen und konnten diese nun einweihen, andere brachten ihre Masken vom letzten Jahr mit.
Wir trafen uns am späten Nachmittag und zum ersten Mal seit geraumer wieder bei Dunkelheit. Der Vollmond schien jedoch hell von einem wolkenlosen Nachthimmel herab und tauchte unseren Weg in einen kalten, andersweltlichen Glanz.
Auf dem Kultplatz erwartete uns der prachtvolle Wauld vom Herbstfest, wir bereiteten den Stallr vor, schafften Feuerholz herbei, und bald konnte es dann auch schon losgehen. Wir hegten mit Gesang und Hornrufen den Platz ein und löschten danach alle Lichter im Kreis, um der Dunkelheit, die die kommenden Monate beherrschen wird, Raum zu geben. Zur Rune Ansuz riefen wir Odin an, schritten danach aus dem Kreis heraus und saßen oder standen eine Weile mit dem Rücken zum Platz, jeder für sich in Stille und Dunkelheit, um die Hel zur Teilnahme am Fest zu bitten. Schließlich ertönte aus dem Kreis ein Hornruf, und wir kehrten zurück, um nun noch die Riesin Skadi, Frau des Wanen Niörd, zur Rune Thurisaz anzurufen. Mit dem Segen der Götter entzündeten wir das Kultfeuer, das nach kurzem Zögern gut anbrannte und den Abend über Wärme spendete.
Jeder maskierte sich nun, es gab volle und halbe Bärte, glattrasierte, geschminkte und geschmückte Masken, nur einer war unmaskiert und mußte dafür einen großen Schluck eines bitteren Getränks nehmen und beim Umzug um den Platz den Wauld an einer Stange vorwegtragen. Der Wauld, zum Herbstfest aus Stroh gefertigt und über das Jahr unser treuer Festbegleiter, bekam einen schönen leuchtendblauen Mantel, den Odinsmantel und wurde mit Trommel, Rassel und viel Lärm durch die Nacht getragen. Wir liefen über mondbeschienene Wege, schrien, tanzten und grunzten uns an, rannten aufeinander zu und voreinander weg und verausgabten uns ziemlich, bis wir glücklich wieder am Platz ankamen. Nun wurde ein kleiner Teil des Mantels durch Zerren und Ziehen zerrissen, jeder versuchte, sich ein möglichst großes Stück zu sichern, um es bis zum nächsten Jahr auf seinem Hausaltar aufzubewahren und auch in der nächsten Sommerhitze die kühle Nachtluft der Winternacht zu spüren.
Die aufgeheizte Stimmung nahmen wir zum Anlaß, um unser Wetterorakel zum kommenden Winter zu veranstalten. Beim sog. Brückenspiel fassen sich zwei an den Händen und bilden eine Brücke, durch die die übrigen laufen müssen. Nach und nach werden alle gefangen und müssen sich für einen von zwei Begriffen entscheiden, die ihnen von den Brückenspielern ins Ohr geflüstert werden. Je nachdem stellen sie sich hinter den einen oder den anderen. Zum Schluß stehen sich beide Reihen gegenüber, fassen aneinander um den Leib und versuchen, die jeweils anderen herüberzuziehen. Wenn ein Sieger feststeht, wird durch die Brückenspieler offenbart, ob die Gewinnerpartei die Götter oder die Riesen dargestellt hat und wir folglich einen milden oder einen strengen Winter bekommen werden.
In diesem Spiel scheint noch altes Brauchtum durch, die Brücke symbolisiert die Himmelsbrücke Bifröst, die zum Ragnarök beim Ansturm der Riesen brechen wird. Wie dem auch sei, wir hatten unseren Spaß, vor dem Ziehen heizten wir uns auf, in dem wir uns anbrüllten und uns auf die Brust trommelten. Schließlich galt es, und obwohl beide Ketten gleich viele Teilnehmer hatten, war es doch eine klare Sache, da die eine Kette brach. Die Gewinner hatten die Riesen dargestellt, wir können uns also auf einen strengen, und wenn es nach dem Wunsch einiger Festteilnehmer geht, auch auf einen schneereichen Winter einstellen.
Wir fanden uns wieder um das Feuer zusammen, trommelten und sangen Lieder, unter anderem das Heimdallsmantra, dem strahlenden Vollmond und dem Heimdall zu Ehren. Nacheinander schritten wir zum Stallr und erbaten uns von Odin, Hel und Skadi, wessen wir uns bedürftig dünkten. Anschließend verzehrten wir gemeinsam eine Gemüsesuppe, die schon eine ganze Weile im Feuer vor sich hin köchelte, stilecht auf einem geschmiedeten Dreibein und köstlich gewürzt, anschließend gingen wir zu Speis und Trank über, aßen, sprachen und scherzten, tranken Hörner, auf verschiedene Götter geweiht, und ließen es uns wohl sein.
Später stand noch ein Zielspiel auf dem Programm, wo es darum ging, sechs Nüsse in ein in den Waldboden gestecktes Horn zu werfen. Der Sieger darf nun den Preis, einen kleinen, aus Ton geformten Elch, sein eigen nennen.
Die ersten machten sich auf den Heimweg, nicht alle hatten sich für den nächsten Tag freinehmen können, wir übrigen folgten nicht lange danach. Bevor die ersten aufbrachen, fanden wir uns zum Schlußkreis zusammen, um einer Festteilnehmerin, die Geburtstag hatte, einen Holzstab mit geschnitztem Fuchskopf zu überreichen. Der Stab ging herum und jeder sprach gute Wünsche für das Geburtstagskind aus. Ein schöner Abschluß eines schönen Festes.