Skadi
Name
Die Namensherkunft ist nicht ganz einfach zu klären. Man liest häufig, daß Skadi Namensgeberin von Skandinavien sei. Dies ist eine sympathische und gar nicht einmal abwegige Vermutung, aber eben nur eine Vermutung. Scadi bedeutet im altnordischen Schädiger oder Feind. Über eine Verbindung zu lateinisch scatere, litauisch skasti = springen, hüpfen, also demnach Springerin, Tänzerin ist spekuliert worden, ebenso über eine Ableitung zu gotisch skadus = Schatten. Skadi soll namensgebende Herrin von Schonen (scadias, scandias) und davon ausgehend ganz Skandinavien sein. Dagegen spricht, daß es in Skandinavien zwar Nachweise kultischer Verehrung der Skadi gibt, diese aber ausgerechnet in Schonen fehlen. Die uns allen bekannte Elster heißt im Dänischen übrigens skade und im Schwedischen skata.
Verehrung
Zunächst erfahren wir aus der Lokasenna von Kultstätten, die der Skadi geweiht waren. Loki läuft in diesem Eddalied ja bekanntlich zur Höchstform auf und macht sich mit wüsten Beschimpfungen gegen die versammelten Götter und Göttinnen mal so richtig Luft. Skadi entgegnet ihm daraufhin in Vers 51:
Weißt du, wenn du der erste und letzte warst beim Mord,
als ihr meinen Vater Thiazi packtet,
von meinen Heiligtümern soll
dir nur kalter Rat (Unheil) kommen.
Für eine kultische Verehrung Skadis, sprechen außerdem die auch bei Ullr herangezogenen theophoren Ortsnamen. In Norwegen gibt es Zusammensetzungen mit -hof, z.B. Skaediofe in Bohuslän, Skaedioufe in Vestfold. Verbindungen mit horg (ahd. Harug, bezeichnet ein Heiligtum oder einen im Freien stehenden steinernen Altar oder Tempel) sind wohl Skederid in Uppland und Skerike in Västmanland. Weiter finden wir Endungen auf -lundr (Hain) in Skärlunda (früher skaedalundum)in Ostgötland und auf - land, - berg und -vi (die Namen Skedvi und Skedevi sind sogar ziemlich häufig). Man hat nicht weniger als 20 solcher Ortsnamen in Schweden gefunden. Diese Häufigkeit führte zu der Vermutung, daß zumindest ein Teil der Namen auf das Wort skeid, das so viel wie Reitstrecke bedeutet, zurückzuführen ist. Die theophoren Ortsnamen haben also nicht die Aussagekraft wie bei Ullr, beachtenswert ist jedoch, daß es, wie bei Ullr, auch mehrere Ortsnamenpaare gibt und zwar nördlich von Oslo mit -dis (Disen) und im östlichen Schweden mit der Göttin Hörn (skedvi - härnevi). Alles in allem dürften die Argumente für eine kultische Verehrung doch stärker sein als diejenigen dagegen.
Mythen
Skadi ist die Tochter des Riesen Thjazi. Ein ausführlicher Mythos in der Skaldendichtung (Skaldskaparmal) berichtet von den beiden: Odin, Hönir und Loki sind unterwegs und nehmen aus einer Herde einen Ochsen, um ihn zu braten. Er will aber nicht sieden. Thiazi, als Adler verkleidet, bietet Hilfe an, und fordert Fleisch als Lohn. Dies wird ihm gewährt, er nimmt aber so viel, daß Loki ihn mit einer Stange erschlagen will. Dies mißlingt, die Stange bleibt am Adler haften und Loki wird von diesem so lange herumgeschleift, bis er verspricht, die verjüngenden Äpfel der Idun zu Thiazi zu bringen. Er schafft solches durch eine List und raubt die Äpfel samt Idun. Die Götter altern, erkennen Loki als Ursache und fordern Wiedergutmachung. Loki reist als Falke zu Thiazi, entführt Idun und erreicht kurz vor diesem (wiederum in Adlergestalt) Asgard. Die Asen bringen Thiazi mit rauchendem Feuer zum Absturz und erschlagen ihn innerhalb der Mauern von Asgard.
Skadi zieht nun, mit Waffen gerüstet, nach Asgard, um Rache zu nehmen. Die Asen bieten ihr Wiedergutmachung an. Sie soll sich erstens unter den Asen einen als Gatten aussuchen dürfen, darf jedoch nur deren Füße sehen. Skadi möchte den lichten Baldur, die Füße, die sie für die seinen hält, gehören aber dem Meeresgott Njördr. Als zweites bedingt sie sich aus, man solle sie zum Lachen bringen. Dies gelingt, indem Loki eine Schnur mit dem einen Ende um den Bart einer Ziege, mit dem anderen aber um seine Hoden bindet und sich beide abwechselnd hin und her ziehen. Das jämmerliche Schauspiel bringt selbst Skadi zum Lachen. Schließlich soll Odin noch die Augen Thiazis an den Himmel geworfen und zwei Sterne aus ihnen gemacht haben.
Wie bringt uns dieser Mythos die Skadi näher? Sie ist auf jeden Fall nicht nur kriegerisch, sondern auch sehr mutig und offen, da sie es mit allen Asen in einem offenen Kampf aufnehmen will. Die Wiedergutmachung besteht aus drei Teilen.
Zuerst soll ein Ersatz erbracht werden. Da ein Toter nicht wieder zum Leben erweckt werden kann, darf eine ähnlich nahestehende Person (statt des Vaters ein Ehemann) ausgesucht werden.
Dann muß die Trauer gebrochen werden. Den Göttern muß es gelingen, zumindest ein erstes Lachen, als Zeichen der Überwindung der traurigen Gedanken und Rückkehr ins Leben, auf Skadis Antlitz zu zaubern.
Schließlich ist der Nachruhm des Toten wichtig. Die Augen als Sterne sind eine Art Bautasteine (Gedenksteine), die das Andenken des Verstorbenen über die Zeit erhalten sollen.
Die Ehe von Njörd und Skadi ist kein Erfolg. Im Gylfaginning 23 wird berichtet, daß sei zu unterschiedlich waren. Njörd, als Meeresgott, wohnt am Meer, Skadi in den Bergen.
Njörd klagt:
Leid sind mir die Berge, nicht lange war ich dort,
nur neun Nächte.
Der Wölfe Heulen, dünkte mich übel,
verglich ich`s mit der Schwäne Singen.
Skadi erwidert:
Nicht schlafen konnt ich am Ufer der See,
Vor der Vögel Lärm.
Es weckte mich, vom Wasser kommend,
Morgen für Morgen die Möwe.
Auch die Götter haben also ihre Probleme mit Fernbeziehungen. Nachdem nun jeder neun Tage beim anderen verbracht hat, trennt man sich und jeder lebt fortan dort, wo er sich wohlfühlt.
Außer in dem genannten Mythos wird die Skadi noch in der Lokasenna erwähnt. Neben dem bereits genannten Vers 51 wird im Epilog berichtet, daß Loki zur Strafe an einen Felsen geschmiedet wird und Skadi über seinem Kopf eine Giftschlange anbringt, deren Gift auf Lokis Kopf tropft.
Schließlich ist im Grimnirsmal die Rede von ihrem Wohnsitz, Vers 11:
Trymheimr ist das sechste, wo Thiazi hauste,
jener übermächtige Jöte.
Nun bewohnt Skadi, die lichte Götterbraut,
des Vaters früheren Wohnplatz.
Anmerkung: Thrymheimr heißt Lärmheim, der Name ist wohl eines Riesen würdig.
Deutungen
Skadi wird Öndurdis (Schlittschuh- Göttin) genannt. Sie geht mit Pfeil und Bogen auf die Jagd und liebt die Berge. Betrachtet man ihre Attribute, drängt sich ein Vergleich mit der griechischen Göttin der Jagd Artemis auf. Aber auch eine Verwandtschaft zu Ullr, der ebenfalls als öndurass (Schlittschuh- Ase) bezeichnet wird und auch sonst ähnliche Eigenschaften wie Skadi hat, bietet sich an.
Tatsächlich ist über die Verbindung von Skadi zu Ullr viel spekuliert worden. Sie wurden als göttliches Geschwisterpaar wie Freyr und Freya interpretiert, es wird vermutet, daß Skadi nach der Trennung von Njördr mit Ullr zusammenlebte, sie also ein Liebespaar waren. Dies deutet wiederum auf einen wanischen Ursprung hin, da beim Göttergeschlecht der Wanen die Geschwisterehe ja nicht ungewöhnlich war.
Ich bin der Meinung, daß Ullr und Skadi nach der Art, wie ihre Persönlichkeiten und Charaktere uns überliefert sind, hervorragend zusammenpassen würden und denke, daß zwischen beiden eine Verbindung besteht. Die Quellen liefern uns aber keinerlei Belege für diese Vermutung.
Für eine angebliche Tochter Jecha, die beide haben sollen, gibt es übrigens keinerlei Belege. Sie kommt in einer Heiligenvita des Bonifatius aus dem 17. Jh. vor und wurde, angelehnt an Ortsnamen, frei erfunden, um die Vita zu illustrieren, ein in Heiligenviten nicht seltener Vorgang.
Eine diskutierte Möglichkeit ist, daß Ullr und Skadi dem finnischen Mythenkreis angehören, weil dort Jagd und Skilauf (und die Kombination von beidem) große Bedeutung haben. Weiterhin wird in Snorris Ynglingasage darauf hingewiesen, daß Skadi nach der Trennung von Njörd mit Odin viele Kinder gehabt habe, von denen unter anderem Jarl Hakon abstamme. Eines der Kinder soll der Säming sein, der, seines Namens wegen als Stammvater der Samen (Lappen) gelten soll. Der ganze Abstammungsmythos ist nach meiner Meinung eine Konstruktion des Hochmittelalters und soll die göttliche Abstammung der Herrschenden belegen. Auch war die Jagd auf Skiern nicht nur in Lappland gebräuchlich. Es ist aber schon interessant, daß eine nachweislich sehr alte Gottheit wie Ullr plötzlich als Thors Stiefsohn (und damit Odins Enkel) eingeordnet wird. Ebenso wie bei der alten Gottheit Tyr, die ja bei Snorri als Sohn Odins genannt wird, sind Zweifel angebracht, und es liegt die Vermutung nahe, daß diese Gottheiten schon zu Snorris Zeiten an Bedeutung und Mythenfülle verloren hatten und dann einfach im göttlichen Stammbaum neu verortet wurden.
Skadi steht zum Winter in enger Beziehung. Sie wird im Grimnirsmal aber als lichte oder leuchtende Göttin bezeichnet. Sie ist wohl nicht nur der eisige Nordwind, der die Götter bedroht, sondern trägt, wie auch die Riesentochter Gerdr, schon frühlingshafte Züge in sich. So ist der Vergleich zwischen Njördr und Skadi, jeweils eine Zeit am Meer und eine in den Bergen zu verbringen, als Wechsel der Jahreszeiten interpretiert worden. Ist Njördr, der reiche Meeresgott, der den Fahrtwind beherrscht und um Fischfang angerufen wird, in den Bergen, friert das Meer zu. Ist er zuhause, sind die Wogen einem hold. Das Lachen der Skadi (wir erinnern uns: die zweite Bedingung an die Götter) bedeute ein Aufbrechen ihrer grimmigen Mimik und damit auch ein Aufbrechen der winterlichen Eispanzer. Lokis derbe Art, wie er dieses Lachen zuwege bringt, deutet ebenfalls auf frühlingshafte Fruchtbarkeitsriten hin.
Schluß
Skadi offenbart uns ein sehr vielschichtiges, interessantes Wesen, das aber nicht leicht faßbar ist. Man muß sich daher, neben dem Quellenstudium, auch in die Natur begeben und dort dem Wesen der Götter nachspüren. Im Winter sollte dazu die beste Gelegenheit sein.