Forseti
Über den Ursprung des Friesenrechtes gibt es eine Sage, in der berichtet wird, daß Karl, der Frankenkönig, die Friesen aufforderte, zu ihm zu fahren und das Recht zu küren, das sie halten wollen.
Forseti ist der Sohn der Götter Baldur und Nanna. Er wird als Rechtsgott angesehen und soll Streitigkeiten schlichten. Im Grimnirsmal Strophe 15 heißt es:
Glitnir heißt das zehnte, auf goldenen Säulen ruht
Des Saales Silberdach.
Dort wohnt Forseti die meisten Tage
Und schlichtet jeglichen Groll.
Glitnir (altnord. der Glänzende) ist also die Wohnstatt des Gottes Forseti. Im Gylfaginning Vers 16 beschreibt uns Snorri die Wände, Säulen und Balken als von rotem Gold und das Dach von Silber. In Vers 31 wird erwähnt, daß der Saal im Himmel liege. Alle, die sich in Rechtsstreitigkeiten an Forseti wenden, gehen verglichen nach Hause, er sei der beste Richterstuhl für Götter und Menschen.
Forseti findet in der Edda ansonsten keine Erwähnung, es gibt aber zwei miteinander zusammenhängende Geschichten über ihn, die im Folgenden erzählt werden sollen.
Über den Ursprung des Friesenrechtes gibt es eine Sage, in der berichtet wird, daß Karl, der Frankenkönig, die Friesen aufforderte, zu ihm zu fahren und das Recht zu küren, das sie halten wollen. Zwölf Asegen (Rechtsprecher) der sieben friesischen Seelande treten die Reise an, können aber nicht verkünden, was friesisches Recht sei. Nach dem Verstreichen der gesetzten Frist, stößt Karl die Zwölf in einem ruderlosen Boot hinaus aufs Meer. Sie treiben eine längere Zeit auf dem Wasser. Auf ihr Gebet hin, jemanden zu senden, der sie das Recht lehre und sie zum Land weise, sitzt plötzlich als dreizehnter ein Gott bei ihnen und hat ene geldene axe up siner axla, also eine goldene Axt auf seiner Achsel (Schulter). Mit dieser steuert er eine Insel an und wirft die Axt sodann an Land. An der Stelle, an der sie liegen bleibt, entspringt ein Quell. An dieser Quelle lehrt der Gott die zwölf Asegen das Recht und ist, nachdem seine Aufgabe erfüllt ist, verschwunden. Die Zwölf kehren zurück und verkünden Karl das Erfahrene. So ist das friesische Recht entstanden.
Es ist natürlich versucht worden, diese Geschichte auf einen christlichen Ursprung zurückzuführen, weil ja auch Jesus sich seinen zwölf Jüngern als dreizehnter hinzugesellte. Dies ist aber wenig überzeugend, da das Motiv des dreizehnten Gottes auch bei den Kelten und Griechen vorkommt. Darüberhinaus entspricht die Axt und deren Wurf wohl eher einem heidnischen Gott als einem christlichen Heiland. Auch wird in einem Mythos, den Saxo Grammaticus vom Kampf zwischen Balderus und Hötherus um die Nanna erzählt, berichtet, daß Balderus eine Quelle aus dem Boden stampfte, um seinem dürstenden Heer Labung zu bringen. Und schließlich wird der Weg, den der Gott zur Quelle nimmt, in der Sage eeswey = Asenweg und der Ort, an dem er sich niederläßt, axenthove genannt. Die Sage darf als heidnisch gelten, auch die Mantelgeschichte mit König Karl dürfte spätere Zudichtung sein. Die Kernaussage der Sage ist ja, daß das friesische Recht unter Mitwirkung der Götter entstand, und daß der Ort der Rechtsfindung eine Quelle ist.
Die Quelle als Ort der Versammlung und Rechtsfindung finden wir auch im Motiv von Urds Brunnen, der an einer der Wurzeln der Esche Yggdrasil liegt und an dem die Götter regelmäßig zu ihren Beratungen zusammenkommen.
In der von Alcuin um 790 u.Z. verfaßten Lebensgeschichte des hl. Willibrord (vita sanctis Willibrordi), der von ca. 658 bis 739 u.Z. lebte und zwischen 690 und 714 auf seiner Missionsreise war, heißt es wie folgt:
Und während der fromme Prediger des Wortes Gottes (Willibrord) auf dieser Reise sich befand, kam er an die Grenze zwischen den Dänen und Fresonen (Friesen), zu einer Insel, welche nach einem ihrer Götter Fosite, von den Bewohnern Fositesland genannt wurde, weil auf ihr Heiligtümer dieses Gottes errichtet waren. Dieser Gott wurde von den Heiden in solcher Verehrung gehalten, das keiner von ihnen etwas von dem Vieh, das dort weidete oder von anderen Dingen zu berühren wagte, noch aus der Quelle, welche dort sprudelte, das Wasser anders als schweigend zu schöpfen sich erlaubte.
Es wird nun weiter berichtet, daß Willibrord in der für Missionare bekannten überheblichen Verachtung dort Menschen taufte und Vieh schlachten ließ und deswegen vor den friesischen König Radbod gebracht wurde. Willibrord entging knapp der Vergeltung und wurde nach Hause geschickt, wohl weniger wegen des günstigen (Runen)- loses, wie christliche Chronisten berichten, als vielmehr, weil Radbod den fränkischen König Pippin fürchtete, in dessen Auftrag Willibrord unterwegs war.
Der hl. Ludger folgte später (um 785 u.Z.) nach: I in der vita liutgeri, verfaßt von Altfridus, heißt es: Hierauf sandte Albrich Liutger mit anderen Gottesknechten aus, die Tempel und verschiedenen Opferstätten der heidnischen Götzen im Lande der Friesen zu zerstören. Nachdem Ludger auf der Insel Fositesland angekommen war, zerstörte er auch die Tempel und ließ eine Kirche bauen.
Es wird erzählt, daß die Insel auch danach noch für so heilig gehalten wurde, daß noch im 11. Jh. es nicht einmal Seeräuber gewagt haben sollen, von dieser Insel auch nur die geringste Beute zu holen, aus Furcht wegen dieser Entweihung bald darauf Schiffbruch zu erleiden oder im Kampf umzukommen.
Adam von Bremen hat den Bericht von Alcuin verwendet und die Insel Fositesland mit Helgoland (Heiligland) gleichgesetzt.
Für diese Gleichsetzung spricht die Lage der Insel, die tatsächlich, wie beschrieben in confinio Fresonum et Danorum, also an der Grenze zwischen dem Lande der Dänen und der Friesen liegt. Dagegen spricht die - auch in damaliger Zeit - zu geringe Größe, da Altfridus berichtet, daß Ludger „alle dort gebauten Heiligtümer" abreißen ließ. Es ist aber eher wahrscheinlich, daß in den alten Heiligenbiographien die Taten übertrieben werden, und daß die Ortsbezeichnungen hinreichend genau sind, als umgekehrt. Andere Inseln, die als Fositesland ins Gespräch gebracht worden (Texel, Kinhem, Ameland), liegen allesamt nicht an der bei Alcuin beschriebenen geographischen Position.
Eine sichere Zuordnung, wo nun diese Insel gelegen haben mag und wie sie heute heißt, läßt sich aus den zur Verfügung stehenden Quellen nicht treffen.
Eine Identität zwischen Fosite, dem Rechtsgott der Friesen und Forseti, dem Rechtsgott, den uns Snorri in der Edda beschreibt, kann hingegen als sicher gelten. Theophore Ortsnamen gibt es in Norwegen nur einen: Forsetalund (Hain des Forseti) auf der ehemaligen Insel Onsoy in der Gegend des Oslofjordes.
Die Heiligkeit des Fositesland und die Ehrfurcht, die die dortigen heidnischen Friesen an den Tag legten, zeigt, daß Fosites eine große Wichtigkeit beigemessen wurde. In der nordischen Überlieferung fällt die Abgrenzung zwischen der Tätigkeit des Baldur und des Forseti auf den ersten Blick schwer. Beide sprechen Recht. Es bietet sich natürlich an, anzunehmen, daß der Kult des Forseti/Fosites sich in sehr früher Zeit nordwärts von Friesland nach Norwegen ausbreitete und dort mit dem Baldurskult zusammentraf, woraufhin das Amt des Rechtssprechers doppelt vergeben war und man Froseti zu Baldurs Sohn machte. Bei näherem Hinsehen ergibt sich aber ein Unterschied.
Im Gylfaginning 22 erwähnt Snorri, „Baldur sei der klügste der Asen, weiß am schönsten zu reden und hat am meisten Mitleid. Aber die Eigenschaft haftet ihm an, daß keiner seiner Urteilssprüche Bestand hat".
Zu Forsetis Urteilen schreibt Snorri im Gylfaginning 32: „Und alle, welche zu ihm kommen mit Streitigkeiten, die gehen versöhnt wieder weg. Das ist der beste Gerichtshof bei Göttern und Menschen."
Die Aufgabe eines Richters ist es ja nicht, vor Mitleid überzufließen und beiden Parteien gleichermaßen Recht zu geben. Die Kontrahenten sind dann vielleicht für den Augenblick zufrieden - auch durch die Ausstrahlung Baldurs - , wenn sie nach Hause gehen, stellen sie jedoch fest, daß ihr Problem nicht gelöst wurde. Dauerhafter ist eine Entscheidung, die die Parteien versöhnt, also einen Kompromiß findet, den beide Kontrahenten akzeptieren können.
Forseti hat einen deutlich anderen Charakter als Baldur, er ist als Rechtsgott geeigneter, während Baldurs lichte Schönheit und milder Charakter ihn für andere Bereiche geeigneter erscheinen läßt als für das Richteramt.