Die Sagas
Sagas sind eine bedeutende Quelle bei der Rekonstruktion heidnisch-germanischer Glaubensvorstellungen und Lebensweise. Wir wollen uns diesem Thema daher näher widmen. Dieser Artikel soll eine Übersicht über die Sagaliteratur liefern und die Entstehungsgeschichte der Sagas beleuchten.
Begriff und Definition
Saga (Plural Sagas oder auch Sögur) leitet sich von dem Verb segja = erzählen ab. Der Begriff bezeichnet isländische Prosawerke, die seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts (1200 u.Z.) aufgezeichnet wurden und ihre Blütezeit im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert erlebten. Die längste Saga ist die Njalssaga mit ca. 350 Seiten, die kürzeste die Hrafnkelssaga mit ca. 35 Seiten, noch kürzere Stücke werden als Þættir (sg. Þáttr) bezeichnet. Neben dieser formalen Unterteilung wird die literarische Gattung der Sagas auch nach inhaltlichen Gesichtspunkten in verschiedene Untergattungen unterteilt. Die wichtigste ist die der Isländersagas (islendigasögur). Diese Erzählungen spielen auf Island, gelegentlich auch in Norwegen, in dem Zeitraum von der Landnahme (isländische Besiedelung) um 880-900 u.Z. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, also ca. 1050 u.Z. Vorzeitsagas (Fornaldarsögur) spielen in einer mythischen Vorzeit in Skandinavien, hierunter fällt z.B. die im Gylfaginning erwähnte Sage von Hrolf Kraki. Die Königssagen (konungasögur) beschreiben das Leben skandinavischer Könige und Fürsten, Vertreter sind Snorris Heimskringla und die Ynglinga Saga. Es gibt noch weitere Untergattungen, auf die wir hier aber nicht näher eingehen wollen. Wir wollen uns vielmehr den Isländersagas widmen.
Entstehung
Der Besiedelung Islands und damit der Entstehung der Sagas gingen bedeutende politische Umwälzungen voraus. In Norwegen herrschten im 7. und 8. Jahrhundert u.Z. verschiedene Kleinkönige, eine Art Stammeshäuptlinge, die über kleinere Landstriche verfügten. Gestört wurde dieses Gleichgewicht durch ein Königshaus, das im südöstlichen Norwegen ansässig war und der Überlieferung nach aus Schweden gekommen war. Sie behaupteten, ein Zweig vom Stamme der Ynglinge zu sein, jenem Geschlecht, daß der Sage nach vom Gott Freyr abstammt. Halfdan der Schwarze erweiterte in der Mitte des 9.Jahrhunderts dieses Ynglingenreich durch Erbschaft und Eroberung deutlich. Als Halfdan vierzigjährig im Jahr 862 u.Z. starb, hinterließ er seinen erst 10jährigen Sohn Harald (den späteren König Harald Schönhaar), der mithilfe seines Onkels, Herzog Guthorm, seinen Machtbereich abermals vergrößerte. Harald soll in jungen Jahren den Entschluß gefaßt haben, ganz Norwegen unter seine Herrschaft zu bringen. Der Sage nach soll Harald um die Tochter eines norwegischen Kleinkönigs geworben haben. Diese soll ihm jedoch beschieden haben, daß sie nicht die Frau eines Mannes werden wolle, der lediglich über ein paar Gaue gebiete, sondern erst seine Gemahlin werde, wenn er ganz Norwegen unterworfen habe. Harald soll über diese Korb nicht ergrimmt, sondern dankbar gewesen sein, da sie ihn an seine eigentliche Aufgabe erinnert habe. Harald gelobte nun, sich sein Haar nicht eher zu schneiden und zu kämmen, bis er ganz Norwegen unter seiner Herrschaft habe. Dies Gelöbnis brachte ihm zunächst den Beinamen Harald Strubbelkopf ein und hat seine Chancen bei der Damenwelt wahrscheinlich auch nicht erhöht. Das dänische und schwedische Reich ebenso wie das fränkische Großreich werden ihm Vorbilder bei seiner Mission gewesen sein. Harald wandte sich nun nach Norden in Richtung Trondheim und besiegte in einer Reihe von Schlachten die acht Kleinkönige, die dort herrschten. Einige Landstriche gewann er auch friedlich, weil die dortigen Herrscher ihr Land freiwillig aufgaben und sich zu Lehensmännern anboten. Dies wurde ihnen auch gewährt und der Titel eines Jarls verliehen. Die Eigenständigkeit und oft auch Eigensinnigkeit der Menschen machten es Harald leichter, denn er konnte die Kleinkönige einzeln besiegen. Selten taten sich mehrere Könige zusammen und auch dann war es schwierig, das Volk zu mobilisieren. So wird in der Egilssage beschrieben, daß König Arnwid, als er angegriffen wird, den König Audbjörn um Mithilfe bittet. Dieser sagt zu und läßt den Heerpfeil schneiden und im Land verteilen. Von Kveldulf (dem Großvater Egils) und seinen Männern hört er jedoch, daß sie wohl bereit wären, mit ihm in den Krieg zu ziehen, wenn sein Land angegriffen würde, aber kein Interesse hätten, sich für jemand anderen mit Harald Strubbelkopf zu schlagen.
Erst als Harald bereits drei Viertel Norwegens erobert hat, gingen den übrigen die Augen auf. Es kam zur letzten Entscheidungsschlacht im äußeren Stavangerfjord im Jahr 872 u.Z. Es war jedoch bereits zu spät, es kam zum norwegischen Einheitsstaat und aus Harald Strubbelkopf wurde dank intensiver Körperpflege König Harald Schönhaar.
Da durch den Einheitsstaat nicht nur die Gaukönigtümer vernichtet waren, sondern den freien Bauern auch ihr Recht auf Grundbesitz („odal") genommen wurde, wandten sich viele außer Landes. Sie zogen seewärts, also nach Westen und siedelten eine Zeitlang auf den Shetlands, den Orkneys und den Hebriden. Da traf es sich gut, daß zu der Zeit bekannt wurde, im Nordatlantik befinde sich eine menschenleere, aber bewohnbare Insel. Diese Insel war zwar schon durch einige irische Mönche besiedelt, die vor der Welt in die meditative Abgeschiedenheit geflüchtet waren, jedoch war die Existenz der Insel noch nicht allgemein bekannt. Der Norweger Floki Vilgerdarson erreichte das Land im Jahr 865 und überwinterte dort mitsamt seinen Leuten und dem mitgebrachten Vieh. Dieses ging jedoch ein, da das Heu nicht reichte. Floki verließ die Insel wütend und enttäuscht im darauffolgenden Frühjahr und gab ihr den Namen Eisland, altnordisch Island. Erfolgreicher war Ingolfur Arnarsson, der erste dauerhafte Siedler aus Island im Jahr 874. In den Folgejahren setzte eine rege Besiedelung ein, die Zeit von 880 bis 900 u.Z. wird als Landnahmezeit bezeichnet. Da die führenden Siedler, wie sie es von Norwegen gewohnt waren, jeweils größere Landstriche absteckten und innerhalb ihrer Sippe verteilten, war um 900 praktisch die gesamte Küste in Besitz genommen. Das isländische Landnamabok (Buch von der Landnahme) nennt im Zusammenhang mit der Besiedelung mehr als 3000 Menschen und 1400 Ortschaften.
Es begann nun das sogenannte Sagazeitalter, welches sich bis 1050 u.Z. erstreckte und die Einrichtung des isländischen Allthings im Jahr 930 und die Annahme des Christentums im Jahr 1000 erlebte. Wie bereits erwähnt, begann die Aufzeichnung der Sagas erst im 13. Jahrhundert. Aus dieser Zeit sind nur wenige Handschriftenfragmente erhalten, die ältesten vollständigen Handschriften stammen aus dem 14. Jh., einige Sagas sind nur in Papierhandschriften des 16. und 17. Jh. erhalten. Es herrscht Einigkeit darüber, daß der Aufzeichnung der Sagas eine längere Phase der mündlichen Überlieferung vorausging, wann genau die Sagageschichten jedoch entstanden sind, liegt im Dunkeln der Geschichte.
Historischer Bericht oder Fiktion
Es gab und gibt verschiedene Auffassungen darüber, was die Sagas eigentlich sind, historische Berichte oder erdachte Romane. Die Vertreter der Freiprosatheorie gehen davon aus, daß die Sagas über mehrere Jahrhunderte hinweg in bereits ausgebildeter Form mündlich überliefert und schließlich im 13. Jh. lediglich niedergeschrieben wurden. Die Verfechter der Buchprosatheorie nehmen an, daß die Verfasser im 13. Jh. sich zwar an mündlichen und schriftlichen Quellen orientiert haben, die Sagas aber im wesentlichen, wie ein Roman, eine schriftstellerische Fiktion darstellen. Hintergrund dieses Streites ist natürlich die Frage, wie hoch der Wert der Sagas als Quelle bei der Erforschung von älterem nordischem Brauchtum, Ethik und Religion anzusehen ist.
Die Gedächtnisleistung der Isländer wird für eine mündliche Überlieferung wohl ausgereicht haben, immerhin hatte der isländische Gesetzessprecher während seiner dreijährigen Amtszeit die Aufgabe, das gesamte isländische Recht auf dem Allthing (also jedes Jahr ein Drittel) mündlich vorzutragen. Die Isländer standen in dem Ruf, ein gutes Gedächtnis zu haben und in ihren Angaben über die Vergangenheit zuverlässig zu sein. Sie hatten infolgedessen nahezu eine Monopolstellung als Skalden am norwegischen Hof. Es wird berichtet, daß ein junger Isländer beim norwegischen König Harald dem Harten die Geschichte von dessen Auslandszügen vortrug. Harald war beeindruckt von der Detailgenauigkeit des Vortrages. Der Isländer sagte dazu, daß er den Vortrag auf dem Allthing von einem Landsmann übernommen habe, der selbst im Gefolge des Königs gewesen sei. Hier berichtet also ein Skalde ein Ereignis, daß er nur vom Hörensagen kennt, seinem König, der selbst bei dem Ereignis dabei war, so genau, daß dieser stark beeindruckt ist. Es ist wohl so, daß die Merkfähigkeit in einer Kultur, die keine schriftlichen Aufzeichnungen kennt, viel stärker ausgebildet sein muß, als beispielsweise heute, wo es unzählige Merkhilfen und Gedächtnisentlastungen gibt.
Der Norweger Knut Liestøl untersuchte in einer umfangreichen Arbeit aus dem Jahr 1929 die stilistischen Elemente verschiedener Sagas und stellte die Art, wie ein und dasselbe Ereignis in verschiedenen Sagas berichtet wird, einander gegenüber, um eine mündliche Überlieferung zu beweisen. Sigurdur Nordal weist 1940 in einer Arbeit über die Hrafnkells saga, die als eine der authentischsten gilt, nach, daß einige Protagonisten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erdachte Figuren sind.
Heute wird allgemein die Ansicht vertreten, daß die Sagas zwar schriftliche Werke unbekannter Verfasser sind, jedoch inhaltlich und formal deutliche Einflüsse der mündlichen Tradition enthalten. Sie handeln von Personen, die tatsächlich gelebt und Ereignissen, die tatsächlich stattgefunden haben, so daß ihr Handlungsverlauf durch die natürliche und gesellschaftliche Realität bestimmt wird. Die Darstellung ist aber literarisch aufbereitet, um das übergeordnete Thema der Saga besser darstellen zu können, so daß die Sagas wohl eine Darstellung der isländischen Vorgeschichte der Sagazeit (900-1050) sind, so wie man sie sich im 13. und 14, Jh. vorstellte. Oder wie der schwedische Forscher Peter Hallberg es formulierte: „Mit der bunten Fülle der Sagagestalten haben anonyme isländische Meister das Leben ihrer Ahnen in all seinen Schattierungen wiedererstehen lassen, angefangen bei den kleinen Sorgen des täglichen Lebens bis hin zu den großen und schicksalsschweren Konflikten."
Schicksalsglaube
Träume spielen in den Sagas eine große Rolle, jemand hat einmal einen Durchschnitt von 3-4 Träumen pro Saga ausgerechnet, sie sind allerdings nicht im Lichte der Psychoanalyse zu deuten, sondern haben den Charakter einer Weissagung. Gewöhnlich bedeuten sie Unglück und Leid oder weisen auf bevorstehende Kämpfe hin. Ein immer wiederkehrender Zug ist es, daß sich ein Feind in Tiergestalt nähert, oft mit einer Übermacht. Einige Träume kündigen auch längere Ereignisse an. So wird z.B. in der Gunnlaugssaga berichtet, daß Þorstein von einem blutigen Kampf zweier Adler um ein Schwanenweibchen träumt. Nach dem Tod der beiden Adler erscheint ein Falke und flieht mit dem Schwan. Tatsächlich gibt es einen tödlichen Kampf zwischen Gunnlaug und Hrafn um Þorsteins Tochter Helga, die jedoch die Ehe mit einem dritten Mann eingeht. In der Laxdœla saga hat Gudrun im Winter vor ihrer ersten Heirat vier verschiedene Träume, die Hinweise auf das Schicksal der vier Ehemänner, die sie im Laufe ihres Lebens haben wird, Auskunft geben. Gudrun läßt sich ihre Träume von Gestr, einem weisen Mann, der in die Zukunft zu blicken vermochte, deuten. In einigen Sagas deutet der Träumende seine Träume selbst, in anderen nimmt er die Hilfe von Traumkundigen in Anspruch. Die Kunst der Traumdeutung wird sowohl von Frauen als auch von Männern beherrscht, sie schien also nicht jedem, jedoch grundsätzlich beiden Geschlechtern offenzustehen. Es muß wohl ein Unterschied zwischen Götter- und Schicksalsglaube gemacht werden. Während die Götter Mächte waren, die man sich durch Opfer gewogen machen, die man also durchaus beeinflussen konnte, wird das Schicksal in den Sagas als etwas Unabänderliches dargestellt, was nur hingenommen werden kann. Diese fatalistische Sichtweise wird in den Handlungen der Sagahelden mehr als deutlich. Þorstein befiehlt nach seinem Traum, sein noch ungeborenes Kind, wenn es eine Tochter werde, auszusetzen und glaubt, damit die Prophezeiung seines Traumes durchkreuzt zu haben. Seine Frau bringt das Kind aber in seiner Abwesenheit zur Welt und läßt es in Sicherheit bringen. Als es sechs Jahre alt ist, erfährt Þorstein davon. Er fügt sich in das Geschehene und kommentiert es mit den Worten: „Es fällt dahin, wohin es will."
Auch Dinge können das Schicksal beherbergen. In der Víga-Glúms saga gibt der alte Vígfúss seinem Enkel Glúm drei Sippenkleinode, einen Mantel, einen Speer und ein Schwert mit dem Hinweis, daß seine Ehre niemals geschmälert werde, solange er diese Gaben behalte. Später, in schwieriger Zeit, verschenkt Glúm Mantel und Speer, um damit die, Hilfe mächtiger Häuptlinge zu gewinnen. Seine Feinde jedoch, sobald sie davon hören sind voller Zuversicht, daß ihnen nun der Kampf gelingen wird und tatsächlich bricht ab diesem Zeitpunkt das Unglück über Glúm herein.
Neben äußeren Umständen ist es jedoch auch der Charakter der Hauptfiguren, der in den Sagas deren Schicksal bestimmt. Gerade in der Laxdœla saga tritt das Schicksal nicht als plötzliche Offenbarung auf, vielmehr ist es als ein unabänderliches ständiges Schwinden von Glück aufzufassen, welches auch durch die Charaktere der Figuren, insbesondere Gudruns begründet ist. Die Sagaautoren ziehen die Erkenntnis, daß auch charakterlich einwandfreie Menschen leiden und untergehen müssen, nur weil ihnen das hinreichende Maß an „Glück" fehlt, eine Macht, die als gipta, gæfa oder hamingja bezeichnet wird. Dies wird in der Gislisaga deutlich. Die einzige Erklärung für sein persönliches Schicksal liegt darin, daß er kein „Glücksmensch" (gæfumaðr) gewesen sei. Jedoch führt die Unabänderlichkeit des Schicksals bei den Sagahelden nicht zu Resignation und dem Erlahmen der Aktivität, sondern eher zu einer Art innerer Freiheit, dem Schicksal zu trotzen, obwohl oder gerade weil es unabänderlich erscheint.
Heldenideal
Zunächst einmal wird von dem Helden erwartet, in gefährlichen Situationen keine Schwäche zu zeigen. In der Fóstbrœðra saga gehen die Schwurbrüder Þormóðr und Þorgeirr zusammen an den Klippenrändern am Meer Engelswurz suchen. Da rutscht unter Þorgeirr eine Erdscholle ab, er bekommt im letzten Moment eine Engelswurzstaude mit einer halbwegs kräftigen Wurzel zu fassen und hängt nun an dieser Wurzel über der Klippe, unfähig, sich selbst hinaufzuziehen und in der Gefahr, daß die Wurzel jederzeit nachgeben kann. Er sagt aber keinen Ton. Als sein Bruder, der weiter oben am Hang Wurzeln sammelt, in schließlich ahnungslos fragt, ob er nicht bald genug Engelswurzstauden beisammen habe, antwortet er: „Ich möchte meinen, ich hätte genug, wenn die nach oben gelangt, die ich eben gerade umfasse." Dies klingt Þormóðr verdächtig, er steigt hinab zu seinem Bruder, entdeckt dessen Notlage und zieht ihn glücklich nach oben. Weitere Worte werden über diese Angelegenheit nicht verloren. Hier wird Stolz auf eine Weise kultiviert, die schon komisch erscheint. Lakonische Aussprüche in der Stunde des Todes kennzeichnen den wahren Sagahelden. Þormóðr Kolbrúnarskáld wird in der Schlacht von einem eisenbeschlagenen Pfeil ins Herz getroffen. Er bricht den Schaft ab und zieht mit einer Zange die Spitze samt ihren Widerhaken heraus, daran hängen „einige Fasern seines Herzens, einige rot, andere weiß, gelb und grün." Als Þormóðr das sieht, sagt er: „Der König hat uns gut genährt, Fett sitzt an den Wurzeln meines Herzens." Darauf stirbt er. Ähnlich kann es auch Grettis Bruder Atli. Als ihm ein Speer durch den Leib fährt, stellt er nüchtern fest: „Sie sind jetzt Mode, diese breiten Spieße." Dann fällt er vornüber auf die Schwelle. Nun wird solch ein Verhalten natürlich nicht jedem Akteur in den Sagas, sondern nur den Helden abverlangt, es darf aber als ein, etwas überzogen dargestelltes, Ideal gelten und folgt aus der Vorstellung, daß man zwar nicht das Schicksal, wohl aber seine Haltung ihm gegenüber beeinflussen kann.
Ein weiteres häufiges Thema in den Sagas ist das Motiv von Kränkung und Rache. Eine Ehrverletzung wurde oft als schlimmer als ein tätlicher Angriff gewertet, ebenso forderte der Tod eines Familienmitglieds die Rache an einem Angehörigen der Sippe heraus, aus der der Täter stammt. Nun galt es zwar als wenig ehrenhaft, jeglicher Gefahr aus dem Wege zu gehen, ständiges Waffenklirren und Gewalttätigkeit gehör jedoch auch nicht zum Heldenideal. Der wirkliche Held weiß, was er aufs Spiel setzt und schreitet deshalb nicht leichtfertig zur Tat. Da Rache Gegenrache forderte, konnten leicht endlose Fehden entstehen, die als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung angesehen wurden. Es war daher üblich, daß vertrauenswürdige Menschen ihren Einfluß geltend machten, um einen Vergleich zustandezubringen. Ein Erfolg bei einer solchen Angelegenheit vergrößerte ihr Ansehen. Ein anderer Aspekt der Ehrverletzung als die Kränkung war der Angriff auf einen Schwurbruder. Die Schwurbruderschaft war eine Verbindung, die nicht selten bis in den Tod währte und in der Wendung „nun soll ein und dasselbe über uns kommen" Ausdruck findet.
Die Anwendung einer List galt zwar als schändlich, kommt aber auch bei Sagahelden vor. So verkleiden sich Helden, um einem Gegner aufzulauern oder ihm zu entkommen und schwören zweideutige Eide, so daß sie sich um ihr Versprechen herumdrücken können. Kleinliche Schläue, die mit dem Heldenideal schwer in Einklang zu bringen ist, kommt häufig vor, auch Überfälle aus dem Hinterhalt oder mit einer Übermacht sowie gedungene Mörder sind nicht selten.
Stilistik
Die Sagas zeichnen sich durch eine betont sachliche, fast lakonische Sprache aus. Schmückende, poetische Ausdrücke sind den Sagas fremd. Heusler bemerkt, daß ein Satz wie „Er zog sein scharfes Schwert" dem Sagastil fremd wäre. Es würde vielmehr heißen: „Er zog sein Schwert; das war eine sehr scharfe Waffe." Es entsteht hier ein besonderer Gegensatz zur Poesie der Skalden, die ja darauf bedacht waren, die übliche Beschreibung einer Sache zu umgehen und stattdessen kunstvolle Kenningar (z.B. Brandungsroß für Schiff) zu ersinnen. Bis zum heutigen Tag zieht man in Island eine scharfe Grenze zwischen Poesie und Prosa. Auch Naturschilderungen sind nur insoweit vorhanden, wie sie für den Fortgang der Handlung von Bedeutung sind. Ästhetische Naturbeschreibungen sind die Ausnahme. In der Njalssage wird der Held Gunnar von Hlíðarendi des Landes verwiesen. Er hat schon sein Schiff bestückt und sich verabschiedet und reitet davon. Da strauchelt sein Pferd, und er wird abgeworfen. Weiter heißt es: „Er lag so, daß er den Hang und den Hof von Hlíðarendi sah, und sagte: Schön ist der Hang. Nie ist er mir so schön vorgekommen, die gelben Felder und die gemähten Wiesen. Ich will wieder nach Hause zurückreiten und nirgendwohin ziehen." Die Naturbeschreibung soll die Heimatverbundenheit des Gunnar verdeutlichen, der den Tod zuhause einem Leben in der Verbannung vorzieht.
Meistens macht der Sagastil jedoch einen kühlen und sachlichen Eindruck, und der Erzähler tritt soweit in den Hintergrund, daß man das Gefühl hat, die Saga erzähle sich selbst. Ein typisches Beispiel findet sich in der Droplaugarsona saga. Die Witwe Droplaug hat sich mit dem ebenfalls verwitweten Hallsteinn verheiratet, ihr ältester Sohn Helgi ist gegen diese Verbindung. Es heißt nun in der Saga: „Hallstein hatte einen Knecht, der Þorgils hieß. Vierzehn Tage danach sprachen Helgi, Droplaug und Þorgils, Hallsteins Knecht, lange miteinander, ohne daß jemand anderes ihre Unterhaltung mitanhörte. Þorgils beschäftigte sich den Winter über mit Schafen in einem Gehege südlich des Anwesens und war ein fleißiger Arbeiter. Er brachte viel Heu dahin. Eines Tages kam Þorgils zu Hallsteinn und bat ihn, er solle nach dem Heu und den Schafen sehen kommen. Hallsteinn kam und ging in eine Scheune und wollte durch eine Luke wieder hinaus. Da schlug Þorgils Hallsteinn mit einer Axt, die Helgi Droplaugarson gehörte, und das reichte, um ihn zu töten.
Helgi kam den Berg herab von seinen Pferden und sah, daß Hallsteinn erschlagen war. Er tötete sogleich den Knecht. Er ging nach Hause und brachte seiner Mutter, die mit anderen Frauen am Feuer saß, die Nachricht.
Bald darauf konnte man vom Gesinde auf Víðivellir hören, "daß Helgi, Droplaug und Þorgils am Tage vor Hallsteinns Tod lange miteinander gesprochen hätten, und es wurde übel über diesen Totschlag geredet."
Die Schilderung deutet zwar darauf hin, daß Mutter und Sohn den Knecht als Mörder gedungen und sich seiner nach der Tat entledigt haben, damit er nichts ausplaudern konnte, jedoch wird dies nicht direkt gesagt. Die Fakten werden neutral dargestellt und dem Leser selbst das Urteil überlassen. Auch wird durch den Erzähler selbst keine moralische Wertung vorgenommen und nur die moralische Wertung der anderen Personen der Saga dargestellt, nämlich, daß übel über den Totschlag geredet wurde.
Personenbeschreibungen fallen bei unwichtigeren Personen knapp aus, die Helden werden umfangreicher beschrieben, oftmals wird ihnen erst dann eine genaue Beschreibung zuteil, wenn sie in den Vordergrund der Saga treten. In der Egillssage tritt Egill Skalla-Grímson zwar schon früher in Erscheinung, steht aber im Schatten seines bewunderten älteren Bruders. Erst nach dessen Tod wird er zur dominierenden Figur der Saga und auch erst dann, nämlich, als er zum König kommt und von diesem einen Platz auf einem Hochsitz angewiesen bekommt, wird seine Gestalt und sein Aussehen eingehend geschildert.
Innere Konflikte der handelnden Personen werden oft so sparsam dargestellt, daß die psychologischen Zusammenhänge dem heutigen Leser leicht entgehen können. In der Droplaugarsona saga wird Helgi in einem Streit erschlagen, sein jüngerer Bruder Grímr wird verwundet und kann entkommen. Es heißt von ihm: „Grímr war einige Jahre in Krossavik und war nicht froh. Er lachte niemals, seit Helgi gefallen war." Schließlich gelingt es Grímr auf einer Fahrt, zu seinem Feind zu gelangen und ihn zu erschlagen. Sie entkommen den Verfolgern und sitzen bald darauf wieder in Krossavik. Nach Neuigkeiten gefragt, sagen sie, sie hätten keine zu berichten. Später sitzt Grímr mit einem Norweger beim Brettspiel. Ein Junge läuft vorbei und stößt den Tisch an, wodurch das Spiel hinunterfällt. Der Norweger versetzt dem Jungen einen Tritt, woraufhin dieser einen fahren läßt. Grímr lacht aus vollem Halse. Zwischen der Bemerkung, daß Helgi niemals lacht, seit sein Bruder gefallen war und dem Brettspiel liegen etwa fünf Seiten Text. Es verlangt dem Leser einiges ab, hier einen Zusammenhang zu erkennen. Es ist anzunehmen, daß der Autor der Saga den Einschub mit dem Jungen nur gebracht hat, um die veränderte Stimmungslage Gríms nach der erfolgreichen Rache darzustellen. Statt zu psychologisieren, werden sichtbare Reaktionen notiert und äußere Tatsachen dargestellt, um Stimmungen deutlich zu machen.
Ehrbegriff
Bereits im Abschnitt Heldenideal wurde auf die, zum Teil überzeichnete, Todesverachtung und die Rachepflicht bei Kränkung eingegangen. Da der germanische Ehrbegriff oft mißgedeutet und nicht selten auch mißbraucht wurde, soll näher darauf eingegangen werden. Es ist nicht zu bezweifeln, daß auch für die Germanen der Tod ein Unheil war. Niemand gibt die Dinge, die das Leben so wertvoll machen, die Freude des Atmens und der sinnlichen Eindrücke, die schaffende Arbeit, Partner, Kinder und Sippe so einfach her für das kalte Grab und die neblige Welt des Todes. Es geht also nicht darum, den Tod leichtfertig zu suchen, sondern ihn als schicksalhafte Notwendigkeit zu bejahen. Dies schließt auch Situationen ein, in denen der Tod die Erfüllung der Lebensaufgabe bedeutete und die Wahl des Lebens dieses Leben entwertet hätte. Im Beowulfepos beweisen die Gefolgsleute Beowulfs, die ihren Brotherren im Stich gelassen haben, daß man gegen die Ehre das Leben wählen kann, aber furchtbar klingt ihnen Wiglafs Fluch in den Ohren. Die Ehre hängt hier eng mit dem Begriff der Freiheit zusammen, und Freiheit meint in diesem Fall ein Sichbekennen zu einer innerlich gefühlten und bejahten Notwendigkeit. Im Nibelungenlied zieht Hagen von Tronje ins Hunnenreich, obwohl ihm gewahrsagt wurde, daß er von dort nicht zurückkommen würde. Er nimmt dies aber in Kauf, da ein Daheimbleiben vollkommen den Prinzipien widersprechen würde, nach denen er bisher gelebt hat. Die menschliche Freiheit ergibt sich aus der übernommenen Verantwortung für die eigenen Taten.
Trotz aller körperlichen Leistungen und heroischen Taten ist die Ehre bei den Germanen doch letzten Endes eine sittliche und charakterliche Größe. Das Schicksal gehört zum Menschen und nährt sich aus den inneren Möglichkeiten dieses Menschen. Das Schicksal wird groß, nicht weil jemand in Verblendung den Tod sucht, sondern weil er auf die innere Stimme der Ehre hört. Es entscheidet schließlich doch der Charakter und nicht der Zufall, ob ein Leben erfüllt ist oder nicht. Oder, um es mit einem, wie ich finde, sehr schönen und sehr wahren Sinnspruch zu beschreiben: Der Charakter eines Menschen ist sein Schicksal.
Schluß
Gegen 1300 ging die Gattung der Isländersagas langsam ihrem Ende entgegen, in zunehmendem Maße wurden Vorzeitsagas aufgeschrieben, die in einer mythischen Vergangenheit spielen und keinen Anspruch auf Authentizität erhoben. Auch Rittersagas, Übersetzungen ausländischer höfischer Epen und Märchensagas, oft abwertend als Lügensagas bezeichnet, gewannen die Oberhand. 1226 ließ sich König Hákon Hákonarson die berühme Liebegeschichte von Tristan und Isolde ins Norwegische übersetzen. Das ideal des mittelalterlichen Ritterromans, wie er zum Beispiel in dem Gedichtzyklus über König Artus und seine Ritter der Tafelrunde seinen Ausdruck findet, verbreitete sich über Europa. Hinzu kommt, daß Island 1262 seine Unabhängigkeit verloren hatte und sich der norwegischen Krone unterwerfen mußte. Dies bedeutete ebenfalls ein Schwinden der literarischen Eigenständigkeit und eine stärkere Abhängigkeit von kontinentaleuropäischen und norwegischen Strömungen. Verheerende Vulkanausbrüche, Seuchen und Notjahre brachten um 1400 herum fast das gesamte Volksleben aus Island zum Erliegen. Nun sind gute wirtschaftliche Verhältnisse kein Garant für große literarische Leistungen, existentielle Not hingegen wird kreatives Schaffen nachhaltig behindern.
Erst im 17. Jh. erwachte erneut ein lebhaftes Interesse an den isländischen Handschriften. Der bedeutendste Sammler war der Isländer Árni Magnússon, der Professor in Kopenhagen war. Sein Lebenswerk ist die sogenannte Arnimagneanische Sammlung, die im Jahr 1971 von Kopenhagen nach Reykjavik gebracht wurde. Der isländische Schriftsteller Halldór Laxness (1902-1998), der 1955 den Literaturnobelpreis erhielt, war als junger Mann den alten Sagas wenig gewogen und bezeichnete Snorri und andere als „alte isländische Greise, die einige todlangweilige Tatsachen sammeln, die keinen etwas angehen". 1952 schrieb er selbst eine isländische Dichtung mit dem Namen Grepla, die in Thema und Stil an die alten Sagas anknüpfen und kam im Alter zu der Einsicht, daß „ein isländischer Verfasser nicht leben kann, ohne ständig die alten Bücher in Gedanken gegenwärtig zu haben".
Literatur:
Baetke, Walter, Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen, Diesterweg Verlag, 1938
Genzmer, Felix, Germanische Seefahrt und Seegeltung, Bruckmann Verlag München, 1944
Hallberg, Peter, Die isländische Saga, Verlag Dr. Max Gehlen, 1965
Sammlung Thule, verschiedene Sagas, Diederichs Verlag, 1923
Siemek, Rudolf, Lexikon der altnordischen Literatur, Stuttgart, 1987
De Vries, Jan, Die geistige Welt der Germanen, Wiss. Buchgesellschaft Darmstadt, 1964
Würth, Stefanie, Isländersagas (Islendingasögur), Tübingen, 2000