Brauchtum in der Maienzeit
von Bernhard Kühn
Maienzeit kommt nun heran, die göttliche Hochzeit steht bevor und uns alle zieht es nach dem langen und schneereichen Winter wieder in die Natur. Bei unserem letzten Kultfest, zu Ostara am 21. Lenzing, hatte der Wald sein weißes Kleid noch nicht völlig abgestreift. Gemeinsam haben wir dem Winter gedankt und noch einmal seiner Pracht und seiner schönen Seiten gedacht, um ihn dann zu verabschieden. . . und dann wild und laut den Donnergott Thor zu begrüßen, der nun endlich seinen Hammer wiederbekommt und Ostara willkommen zu heißen. Es brach bei den Anrufungen der innige Wunsch nach Frühjahr durch und uns wurde allen bewußt, wie sehnlich wir die warme Jahreszeit erwarten. Und tatsächlich, am nächsten Tag, war es zum ersten Mal zu spüren, dieser Vorfrühlingsduft, der, noch zaghaft, den Beginn der Blütezeit und das Ende der Herrschaft der Winterriesen ankündigt, und den Hugo von Hoffmannsthal in seinem Gedicht „Vorfrühling" so treffend beschrieben hat:
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.
Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.
Er glitt durch die Flöte
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.
Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten.
Und den Duft
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.
Die Maienzeit löst den Vorfrühling ab und wird eingeleitet durch die Walpurgisnacht, die heute vom 30.4 auf den 1.5. begangen wird. Gemeinhin wird der Name auf die Schutzheilige Walpurga (gest. 779) zurückgeführt, die gegen Hexen schützen soll, Pestpatronin ist und am 1.5. heilig gesprochen wurde. Diese christliche Heilige ist aber nur Platzhalter für ein viel älteres heidnisches Brauchtum, daß sich auf Wallburgen oder Wallberge zurückführt, die vom Sommerheld erstürmt werden mußten, um die Erdgöttin zu befreien. In Märchen und Sage findet man Dornröschen hinter dem Dornenwall und Brünhilde hinter dem Flammenwall. Davon abgeleitet ist auch der Brauch, dass am ersten Maisonntag junge Männer Minneburgen erstürmen müssen, die von jungen Mädchen besetzt sind. Auf der Ehrenbürg bei Forchheim , die im Volksmund noch „Wallberla" heißt, fand bis um 1900 noch die Bergkerwa statt, zu der Tausende auf dem altheiligen Berg zusammenströmten.
Die Deutung der Wallburgen als „Wahlburgen" ist wenig schlüssig, obwohl es zum Maifest viel zu wählen gibt. Hier wird aber das ältere Wort für wählen verwendet, nämlich „kiosan", aus dem das Wort „kiesen" und später „küren" wurde. Es handelt sich hier um eine Wahl nach Erprobung, also eine Auslese. Das Maifest heißt auch Körfest, und es gab Wettspiele, deren Sieger zu Maigraf und Maigräfin „gekürt" wurden. Durch den Synodalbeschluß von Pattensen wurden im 16. Jh. Feste wie das Körfest verboten. Es kann aber ein Zusammenhang zwischen den Körfesten und den Kirwe- oder Kirmesveranstaltungen gesehen werden, die ihren Auftakt gewöhnlich im Mai haben und bis in den Hochsommer andauern.
Nach der Walpurgisnacht beginnt der Wonnemonat Mai. Woher kommt nun aber der Name? Er geht zurück über das althochdeutsche wunna auf das westgermanische wunjo und bedeutet Lust, Freude, daneben aber auch althochdeutsch winne, altnordisch vin, gotisch winja = Futter, Weide, wobei die Laubweide, also das bei Tieren begehrte frische Baumgrün gemeint sein soll. Etymologisch soll hier also zunächst das Begehren nach jungem Laub, später das Begehren allgemein gemeint gewesen sein. Tatsächlich war ein alter Name des Mai auch Weidemonat und schließlich sei auf die Rune wunjo verwiesen, deren Bedeutung ja Wonne ist und deren Runenzeichen eine Getreideähre darstellt.
Der Mai ist möglicherweise nach Jupiter Maius, dem Wachstum bringenden Gott der Römer, benannt. Die Bezeichnung Mai war im Volk, im Gegensatz zu anderen lateinischen Monatsnamen; schon früh verbreitet, wie man an Begriffen wie Maibaum, Maikönigin, Hohe Maien usw. erkennen kann. Ob der Name Mai wirklich aus dem Lateinischen kommt, ist allerdings nicht klar. Denn es gibt z.B. das altschwedische Wort maja = schmücken, oder holländisch moj = schön. Auch der Maibaum heißt auf Schwedisch majstång, obwohl er auf Mittsommer, also im Juni errichtet wird. Dies könnte natürlich die „frühe Verbreitung" erklären.
Das Brauchtum für diese Zeit ist reichhaltig, es haben sich Oster- und Maibräuche teilweise vermischt.
Grimm beschreibt vier verschiedene Arten, den Sommer zu empfangen. So wird in Gotland und Schweden der Kampf zwischen Sommer und Winter ausgefochten und sodann hält der Sommer feierlich Einzug. In Schonen, Dänemark, Niedersachsen und England erfolgt bloß der Mairitt und die Einholung des Maiwagens. Diese beiden Feiern sollen im Mai stattfinden. Für das Rheingebiet beschreibt Grimm den bloßen Kampf zwischen Winter und Sommer ohne Sommereinritt, stattfindend im März, und ebenfalls zu dieser Zeit für Franken und Thüringen das Todaustragen ohne Kampf und Einführung des Sommers.
Im Gegensatz zu Ostern, welches ein Kräfteverschieben zugunsten des Sommers anzeigt - die Tage werden länger als die Nächte - so ist zu Mai der Winter endgültig besiegt.
Ein Schwerpunkt der Maifeste ist die „hieros gamos", die Heilige Hochzeit zwischen Sonnengott und Erdgöttin. Auch für die Menschen ist der Mai der Hochzeitsmonat. Durch Wettspiele wird ein Siegerpaar ermittelt. Dieses Maipaar ist im Brauchtum unter vielen Namen bekannt, etwa Maibraut und Maibräutigam, Maigraf und Maigräfin, Maikönig und Maikönigin oder auch Lord und Lady of the mai. Auch der Name Pfingstbraut ist geläufig. Bei den mittelhochdeutschen Dichtern wurde der Maikönig gewöhnlich als ein froh und ehrerbietig empfangener Fürst aufgefaßt und tritt in den Bräuchen entsprechend auf.
Er wird zunächst durch Wettspiele ermittelt: Es gibt Wettrennen - das auf Kindergeburtstagen immer noch beliebte Eierlaufen hat hier seinen Ursprung - Wettreiten oder anderes Kräftemessen, z.B. das sich zweie auf einem Baumstamm gegenüberstehen und versuchen, einander hinunterzuschubsen. In Kärnten empfing der beste Läufer aus der Hand der Maikönigin den Siegeskranz und ritt mit ihr als Maikönig ein. Daraus leitet sich die heute noch bekannt Form, der Brautlauf, ab: Die Braut oder das Brautpaar laufen um die Wette oder müssen möglichst schnell irgendetwas von einem anderen Ort holen.
Maikönig und Maikönigin werden sinnbildlich einander angetraut und stellen für die Zeit des Maifestes das Götterpaar dar. Ihr geheimnisvolles Wesen wird durch allerlei Mittel zum Ausdruck gebracht. Ihnen werden die Gesichter geschwärzt, um sie als eigentlich unsichtbare, geisterhafte Wesen zu bezeichnen, oft werden sie versteckt und müssen gesucht werden das, sie erhalten eine Schelle oder ein anderes Lärminstrument umgebunden. Das Haar wird ihnen mit Blumen bekränzt oder sie werden gleich ganz in Laub gehüllt. Speise und Trank werden ihnen dargeboten und auch sonst jeglicher Wunsch von den Augen abgelesen. Die Würde behalten sie für ein Jahr und jeder versucht, etwas von ihrem Laub- oder Blumenkleid zu erhaschen.
In Niederdeutschland kommt eine Mai- oder Pfingstbraut häufig für sich vor und der Maibräutigam wird dazu gedacht. Die Maibraut verkörpert dann alleine den Frühling und reitet mit großem Gefolge von Haus zu Haus. In der Dauphine wird ein Bursche, den seine Liebste verlassen hat, in grünes Laub gehüllt, stellt sich schlafend und wird von einem anderen Mädchen, das ihn gern hat und mit ihm zusammensein möchte, erweckt. Dieses Motiv findet sich in vielen Volksliedern, z.B. in dem bekannten Frühlingslied „Jetzt under geht das Frühjahr an."
Nicht nur diese beiden, auch weitere Paare finden sich. Üblicherweise stieg einer auf einen Stein oder trat unter einen Baum (den Maibaum?) und rief „die Lehen aus". Daraufhin wurden die anwesenden Paare von der Versammlung einander zugesprochen. Mancherorts lag davor der Brauch der Versteigerung. Die Burschen mußten versuchen, ihre Erwählte zu ersteigern. Die Mädchen hatten natürlich das Recht, den Meistbietenden abzulehnen, falls nicht der von ihnen Ausgeguckte den Zuschlag erhielt. Für die Paare hieß es dann: „Heute zu Lehen, übers Jahr zu Ehen." Der Bursche holte aus dem Wald für sein Maimädchen einen Maibaum oder Maizweig oder setzte ihr einen Maikranz auf den Giebel des Hauses im Gegenzug, so ein Brauch aus der Altmark, hängt das Mädchen ihrem Burschen zur Sonnenwende einen schönen Sonnenwendkranz am Hause auf. Das Lehen band das Paar für ein Jahr und verpflichtete es, dieses Jahr gemeinsam zu verbringen.
Diese Versteigerungen hatten natürlich auch belustigenden Charakter und tragen der ausgelassenen Stimmung des Maifestes Rechnung. Aus dem Braunschweigischen ist ein Tanz überliefert, im Laufe dessen sich die Maikönigin ihren Maikönig auswählt. Die drei Besten des Wettkampfes stehen der Maikönigin gegenüber, während die übrigen im Reigen um sie herumtanzen. Der Text dieses, Mailehen genannten, Tanzes geht so:
Alle: Es stehn auf unserer Wiesen
Drei Fähnlein stolz,
Ein Baum mit Haselnüssen,
Drei Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der sind drei.
Männer: Zum ersten, wen wird sie sich küren?
Alle: Drei Fähndelein stolz.
Frauen: Wer tanzt, wird die Krone verlieren.
Alle: Drei Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der sind drei.
Maikönigin; Den Tanz,den sollst du beginnen,
Alle: Du Fähndelein stolz,
Maikönigin: Die Kron wirst du nimmer gewinnen,
Alle: Drei Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der sind zwei.
Männer: Zum ersten, wen hat sie erkoren?
Alle: Zwei Fähndelein stolz.
Frauen: Wer tanzt, hat die Krone verloren.
Alle: Zwei Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der sind zwei.
Maikönigin; Zum Tanz ist dir´s heute gediehen,
Alle: Du Fähndelein stolz,
Maikönigin: Die Kron wird dir nimmer verliehen,
Alle: Zwei Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der bleibt eins
Alle: Den Dritten belehnet der Maien,
Das Fähnelein stolz,
Wird Krone und Kranz ihm verleihen
Dem Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der bleibt eins.
Maikönigin: Dein Königreich mag dir´s gedeiehn
Du Fähndelein stolz,
Heil dir, Herr König im Maien,
Du Fähndelein, dähndelein, dideldumdei,
Der Fähnlein und der bleibt eins.
Es läßt sich eine Verbindung zur eingangs erwähnten Kirmes ziehen. Aus dem ostfränkischen ist der Kerwavers überliefert:
Drei schwarzbraune Nelken,
Geben ein` schönen Strauß,
Und das Schönste da drinnen,
Das such ich mir aus."
Der Maibaum als Symbol für den Weltenbaum ist in vielen Kulturen bekannt. Schon im griechisch&ndashrömischen Altertum versah man zu bestimmten Zeiten und Gelegenheiten Häuser und Ställe mit Zweigen und Bäumchen zum Schutze gegen Krankheit und böse Geister. Das Einholen und Aufstellen des Baumes bedeutet einen Segenswunsch für das ganze Dorf und seine Bewohner. Der Baum, oft eine Tanne oder Birke, wird gewöhnlich entastet, nur die Krone wird belassen, sodann reich geschmückt. Es werden z.B. drei verschieden große Kränze geflochten und übereinander an den Maibaum gehängt. Daran können Symbole für die Jahreszeiten: Pflug für das Frühjahr, Sichel oder Sense für den Sommer, Korb für den Herbst und Spinnrad für den Winter befestigt werden. Auf großen Dorfbäumen findet man häufig Querleisten mit kunstvollen Darstellungen der Stände des Dorfes, des Viehes, der Häuser usw. Der Maibaum wird entweder entrindet oder es wird eine von oben nach unten verlaufende Spirale in die Rinde geschnitten, die die Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellen soll. Der Brauch des wohlbekannten Bändertanzes zielt in die gleiche Richtung. Es werden Bänder in zwei verschiedenen Farben ausgewählt, z.B. grüne Bänder für die Frauen (grünende Erde, Nanna, Frigg) und gelbe Bänder für die Männer (Sonne, Freyr). Die Farben sind aber nicht festgelegt, in der Überliefung sind verschieden Kombinationen bekannt, hauptsächlich mit den Farben rot, blau, grün und gelb. Die Bänder werden, immer zwischen den Farben wechselnd, kreisförmig in einigen Metern Höhe am Maibaum befestigt. Jeder Tänzer greift sich ein Band in seiner Farbe. Männer und Frauen tanzen jeweils in verschiedene Richtungen. Es ist wichtig, daß man an den entgegenkommenden Personen immer abwechselnd links und rechts vorbeiläuft und das Band recht straff hält. Mit etwas Übung entsteht ein Spiralmuster und man holt so die Kraft des Weltbaumes auf die, Erde, auf den Kultplatz und letztendlich auch zu sich selbst. Normalerweise entsteht aber ein eher skurriles Muster und beim Tanz allerlei Verwicklungen (im wahrsten Sinne des Wortes). In jedem Fall ist es ein großer Spaß.
Das Einholen des Maibaumes, also des Maien, wurde verschieden gehandhabt. Oft war es eine Angelegenheit des ganzen Dorfes. In England gab es bis in das 17 Jh. hinein die „maygames" oder „mayings". Am ersten Maitag zogen die jungen Frauen und Männer, mit Musik und Hornbläsern, in den nahen Wald, wo sie Äste von den Bäumen brachen und sie mit Sträußen und Blumenkränzen schmückten. Dann kehrten sie heim und pflanzten bei Sonnenaufgang diese Maibüsche in Türen und Fenster der Häuser. Und natürlich brachten sie auch einen großen, gehauenen Maibaum mit, der wie oben beschrieben, aufgerichtet, geschmückt und umtanzt wurde. Daß bei diesen „mayings" schon ein wenig vorgefeiert wurde, macht ein Text aus dem Jahre 1585 aus England deutlich, in dem es heißt:" Die Ausgelassenheit bei der Einholung des Maibaumes unter zahlreichem Geleit ist so groß, daß von den zum Wald mitgehenden Mädchen der dritte Teil die Ehre verliert."
Am Morgen nach dem Fest, möglichst um die Zeit des Sonnenaufganges herum, wäscht man Gesicht und Hände mit dem Tau des Grases. Dieser Maitau gilt als heilkräftig und soll schön machen oder schön erhalten, je nachdem. Der Gesundheit förderlich soll es auch sein, sich nackt im Maitau zu wälzen. Dem in der Nacht geschöpften Maiwasser wird eine ähnlich heilkräftige Wirkung zugesprochen wie dem Osterwasser und auch dem Vieh soll der Maitau guttun. Sie geben mehr Milch. Um wertvolles Schmalz zu erhalten, gibt es in der Oberpfalz den Brauch, daß am Walpurgistag die Frau vor Tage auf die Wiese geht, dreimal mit der Sichel kreuzweise in die Luft ficht, drei Grashalme abschneidet und spricht:
O du guter Walberntau,
Bringe mir, so weit ich schau,
In jedem Hälmlein Gras
Ein Tröpflein Schmalz!
Dann soll das ganze Jahr das Schmalz im Hause nicht ausgehen. Man darf wohl annehmen, daß es sich bei dem mit der Sichel zu schlagenden Kreuzen um die dreifache Darstellung der gebo-Rune ( X ) handelt, die ja Gabe bedeutet.
Der Eintritt des Sommers war also eine gleichermaßen ausgelassene wie heilige Zeit und auch für das Gemeinschaftsleben wichtig: Brautpaare wurden um diese Zeit erkoren und ausgerufen, Dienste gewechselt, gemietete Häuser bezogen, also das Leben in der Gemeinschaft geordnet. Nicht von ungefähr fand nun auch das große Frühjahrsthing statt, in dem weitere Angelegenheiten für den kommenden Sommer geregelt wurden.
Ich wünsche uns allen eine schöne Frühlings- und Sommerzeit.